Geodäsie und Geoinformatik – Ein interkulturelles Berufsfeld mit hoher gesellschaftlicher Relevanz

Michael Mayer (1), Jan Rabold (1), Bettina Raible (1), Markus Muhler (2), Susanne Krüger (2)

(1) Lehreinheit "Geodäsie und Geoinformatik"

(2) DVW Baden-Württemberg e.V. – Gesellschaft für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement

-- eingereicht in Mitteilungsheft des Landesvereins Baden-Württemberg e.V. --

 

Der Übergang in die Hochschule wartet mit vielen persönlichen und fachlichen Herausforderungen auf junge Erwachsene (siehe z.B. Bosse & Trautwein, 2014; Brahm et al., 2014). Die Studieneingangsphase von geodätischen BSc-Ingenieurstudiengängen ist zudem häufig dominiert von importierten MINT-Grundlagenlehrveranstaltungen (z.B. Höhere Mathematik, Informatik, Experimentalphysik). Gleichzeitig ermöglichen Lehrveranstaltungen der Fachdisziplin das Ankommen im jeweiligen Studiengang. Diese Rahmenbedingungen können auch im BSc-Studiengang „Geodäsie und Geoinformatik“ (GuG; Illner et al., 2018) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) festgestellt werden. Durch geeignete Lehr-Lernangebote, einen geschickten didaktischen Methodenmix und an die Bedürfnisse der Lernenden angepasste Lehr-Lernsettings kann der herausfordernde Transformationsprozess jedoch bestmöglich ausgestaltet werden. Dabei kann die Sozialisierung der Studierenden an der Hochschule unterstützt und ein regelmäßiges Training von bedeutsamen Fach-, Methoden- und Selbstkompetenzen (FQR_GG, 2018) integrativ umgesetzt werden (Mayer et al., 2019; Rabold et al., 2019). In GuG nimmt in diesem Kontext die Lehrveranstaltung „Fit für Studium und Beruf“ (1.-2. BSc-Semester) eine wichtige Funktion ein, um bspw. Studierenden in der frühen Phase des Studiums durch Fachexkursionen und berufsbildschärfende Vorträge motivationserhöhend die Vielseitigkeit, das Innovationspotenzial und die Zukunftssicherheit des geodätischen Berufsfelds aufzuzeigen. Am 04.12.2019 fand hierzu unter dem Leitmotto „Geodäsie und Geoinformatik – Interdisziplinarität mit hoher gesellschaftlicher Relevanz“ das Forum für Lehre 2019 statt.

In Kooperation zwischen der Lehreinheit Geodäsie und Geoinformatik und dem DVW Baden-Württemberg e.V. wurde im Rahmen des BMBF-geförderten KIT-Projekts LehreForschung-PLUS im Teilprojekt LernenCoaching des Instituts für Photogrammetrie und Fernerkundung ein neues Veranstaltungsformat entwickelt, erstmalig erprobt und abschließend durch Studierende evaluiert. Statt längerer Vorträge (Details siehe: http://gug.bgu.kit.edu/berufsbild.php) wurden fünf Kurz-Inputs (Dauer inkl. Diskussion: ca. 10 Minuten) sowie eine Keynote gehalten.
Für die dialogorientierte Keynote konnte Christiane Dworak gewonnen werden, die als Referatsleiterin Aus- und Fortbildung (Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg) kompetent den jungen Studierenden detaillierte und persönliche Einblicke in die Berufsmöglichkeiten der öffentlichen Verwaltung gab. Ergänzend dazu fokussierten die Kurz-Inputs – chronologisch geordnet – auf eine potenzielle hochschulische Zukunft der Studierenden.

Lotta Dräger berichtete dabei über ihre BSc-Arbeit, durch die sie mit GNSS-Daten zu verbesserten Wettermodellen beiträgt. Lisa Dalheimer, die gerade ihre MSc-Arbeit fertigstellt, berichtete sehr anschaulich über die bedeutsame Quantifizierung von Unsicherheiten bei der Schwerefeldmodellierung. Anschließend zeigten Patrick Hübner und Julia Fuchs prototypische wissenschaftliche Karrierewege nach einem erfolgreichen MSc-Abschluss an Universitäten auf. Patrick Hübner repräsentierte dabei die Doktoranden-Phase und gab eindrucksvolle Einblicke in seine innovative Forschung zu Augmented Reality. Julia Fuchs beschrieb als Post-Doc die Erforschung von Wolkenprozessen mit Satellitendaten und hob die großen Potentiale interdisziplinärer Forschung hervor.

Alle Vortragenden repräsentierten das Leitmotiv der Veranstaltung „Interdisziplinarität“ mehrdimensional. Einerseits arbeiteten sie in interdisziplinär zusammengesetzten Forschungsteams an nur interdisziplinär bearbeitbaren Forschungsfragen; andererseits sind sie – als ausgebildete Physikerinnen, Geophysikerinnen, Geoökologen und Geographinnen – selbst interdisziplinäre Kooperationspartner für die Fachdisziplin Geodäsie und Geoinformatik. Die Veranstaltung, bei der Forschende über ihre Arbeit berichteten und Resultate sowie Arbeitsweisen ins Zentrum ihrer Kurzinputs stellten, belegte eindrucksvoll, dass „Forschungsorientierte Lehre“ – die am KIT gewählte, auf Healey & Jenkins (2009) aufsetzende didaktische Strategie zur Erreichung von Lernzielen (KIT, 2015) – von Anfang des Studiums an möglich ist.

Den gelungenen Abschluss des offiziellen Teils der Veranstaltung bildete der Kurz-Input der Ersten Vorsitzenden der Hochschulgruppe „Engineers without Borders“ (Link: https://ewb-karlsruhe.de/) Juliane Jakowski (Studierende des Maschinenbaus). Eindrucksvoll zeigte sie anhand von Projekten auf, was junge Studierende verschiedener Fachrichtungen gemeinsam bewegen können. In wirtschaftlich, sozial oder politisch benachteiligten Regionen werden durch die Realisierung von Ingenieurprojekten neue Perspektiven für Menschen geschaffen. Dies war mit Blick auf die Schlagworte der Veranstaltung „Interdisziplinarität“ und „gesellschaftliche Relevanz“ spannend, da sie aus anderen Blickwinkeln beleuchtet wurden.

Alle Vortragenden (Abbildung 1) konnten als Fachexperten auf bemerkenswerte Weise hochkomplexe Kontexte für die Studierenden des ersten BSc-Semesters Third-Mission-affin aufbereiten und die Lust auf Interdisziplinarität greifbar machen. Ihre Mühe und Motiviertheit wurde stellvertretend für die Lehreinheit „Geodäsie und Geoinformatik“ (LE GuG) von Jan Rabold, einem Verantwortlichen der Lehrveranstaltung „Fit für Studium und Beruf“, und Markus Muhler (Stellvertretender Vorsitzender, DVW Baden-Württemberg e.V.), der routiniert und engagiert durch die Veranstaltung führte (Abbildung 2), mit Gutscheinen und DVW-Tassen entlohnt. Die LE GuG bedankte sich bei Christiane Dworak und Markus Muhler mit Geocoins und Postkarten (siehe Abbildung 3). Nach gut 100 Minuten gefüllt mit Vorträgen und Diskussionen klang die Veranstaltung in einem Stehempfang aus. In angeregten Gesprächen wurde mehr als eine Stunde lang aktiv „genetzwerkt“ und geplaudert. Auch Studierende höherer Semester nutzen die Gelegenheit, sich aus erster Hand im persönlichen Gespräch mit Informationen zum Staatsdienst und zu den Vorteilen eines Berufsverbandes zu versorgen.

Abbildung 1: Die Protagonisten einer gelungenen Veranstaltung (v.l.n.r.): Jan Rabold, Christiane Dworak,
Juliane Jakowski, Patrick Hübner, Julia Fuchs, Lisa Dalheimer, Lotta Dräger, Markus Muhler.

Abbildung 2: Moderation durch Markus Muhler

Abbildung 3: Gastgeschenke der Lehreinheit „Geodäsie und Geoinformatik“

Die Veranstaltung, die in Zusammenarbeit mit Susanne Krüger (Nachwuchsreferentin, DVW-Baden-Württemberg e.V.) vorbereitet wurde, wurde von allen Beteiligten als bereichernd und lohnenswert wahrgenommen. Die Studierenden bewerteten die Veranstaltung mit 7,6 (Skalenhöchstwert: 10) und empfanden die Vorträge als motivierend, insbesondere da die Themen zu späteren eigenen Arbeiten anregten, wodurch ein Blick in die Zukunft ermöglicht wurde (Abbildung 4; links oben). Trotz steigender Komplexität – von BSc- zu Doktorarbeit – der vorgestellten Arbeiten wurde es sehr wertgeschätzt, dass alle Vorträge so aufbereitet waren, dass alle Teilnehmenden gut folgen konnten und die Präsentationen als sehr informativ wahrnahmen. Positiv aufgefallen ist einigen Studierenden die Breite der Themengebiete und die Anknüpfungspunkte an andere Disziplinen (Abbildung 4; rechts oben). Besonders hervorgehoben wurden auch die ungezwungenen Gespräche mit den Vortragenden und Kommilitonen im Anschluss (Abbildung 4; links unten). Dabei konnten offene Fragen beantwortet und Ideen ausgetauscht werden. Aufgrund der vielen positiven Rückmeldungen (Abbildung 4; rechts unten) und des großen Erfolgs der Veranstaltung werden aktuell Gespräche geführt, in welcher Form daraus eine regelmäßig durchgeführte Veranstaltungsreihe entwickelt werden kann.
 

Abbildung 4: Repräsentative Reaktionen von Studierenden

 
Literatur:
Bosse, E.; Trautwein, C. (2014): Individuelle und institutionelle Herausforderungen der Studieneingangsphase. Zeitschrift für Hochschulentwicklung (9) 5: 41–62.
Brahm, T.; Jenert, T.; Wagner, D. (2014): Nicht für alle gleich: subjektive Wahrnehmungen des Übergangs Schule Hochschule. Zeitschrift für Hochschulentwicklung (9) 5: 63–82.
FQR_GG (2018): Fachspezifischer Qualifikationsrahmen Geodäsie und Geoinformation. www.dvw.de/sites/default/files/landesverein-bb/aktuelles/FQR_GG.pdf.
Healey, M., Jenkins, A. (2009): Developing undergraduate research and inquiry. The Higher Education Academy, York.
Illner, M.; Mayer, M.; Breunig, M. (2018): Die universitäre Geodäsieausbildung in Karlsruhe – Historie, Gegenwart und Zukunft. In: Seitz, K. (Hrsg.): Festschrift zur 150-Jahr-Feier des Geodätischen Instituts (1868 - 2018). Schriftenreihe des Studiengangs Geodäsie und Geoinformatik 2018, 2:275–290, Karlsruher Institut für Technologie.
KIT (2015): KIT-Leitfaden: Forschungsorientierte Lehre; https://www.peba.kit.edu/downloads/Leitfaden-Forschungsorientierte_Lehre_am_KIT.pdf
Mayer, M.; Kutterer, H.; Cermak, J. (2019): Forschungsorientiert und kompetent – Ausgestaltung von hochschulischen Veränderungsprozessen am Beispiel der Lehreinheit »Geodäsie und Geoinformatik« am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). zfv (144) 4: 206–222.
Rabold, J.; Heublein, M.; Mayer, M.; Cermak, J. (2019): Selbstkompetente Studieneingangsphase – Wirkungsanalyse prototypischer Unterstützungsinstrumente. Tagungsband zum 4. Symposium zur Hochschullehre in den MINT-Fächern, S. 165–173.